Uršuľa Kovalyk stellt ihren Leser*innen eine Heldin vor, die genügend Mut hat, um sich ihren eigenen Secondhandladen zu öffnen und einen dazugehörigen Lohn dafür zu verlangen.
Ihr Leben verbrachte sie in der Kleinen Stadt, wo sie die letzten fünf Jahre mit Besuchen eines depressiv grauen Arbeitsamtes verbracht hat. In der Kleinen Stadt, wo sich einem der Geruch von Hühnersuppe und eingekochtem Letscho ständig unter der Nase schleicht. Es ist die Kleine Stadt, wo die Zeit langsam davonrennt, die die Hauptheldin Tsabika plötzlich beschließt zu verlassen, um ihr Glück in der Große Stadt zu suchen.
Tsabika weiß, dass sie Geld verdienen muss. Sie mag es nicht, sich anzustrengen und will etwas tun, dass ihr Spaß macht. Am allerliebsten geht sie zu Besuch und auch deshalb beschließt sie ein Gewerbe anzumelden und so mit ihrer trostlosen Situation aufzuräumen.
Tsabika entscheidet sich zu verkaufen. Freundschaft. Aus der zweiten Hand. Menschen, die aus irgendeinem Grund keine echte Freundschaft haben können oder wissen. Diejenigen, die einsam sind. Die zu schüchtern sind. Zu hässlich sind. Kurz gesagt, sie haben Millionen Eigenschaften, für die sie keiner je besuchen wird, für die nie jemand einen Bock haben wird oder sie haben Tausende Gründe, warum es für sie nie die Rede wert sein wird.
Tsabika weiß, dass es der Einsamen mehr als der Sterne am Nachthimmel gibt, also wieso die Freundschaft, für die man auch bezahlt bekommt, nicht zu verkaufen? Man muss doch für alles bezahlen. Auf diese Weise kann sie zumindest die Freundschaft wählen, die sie will.
Denn eine Freundsaft fürs Geld hat im Gegensatz zu der echten Millionen Vorteile. Zum Beispiel muss sie nicht ewig dauern. Tsabika verspricht nichts, stellt keine Bedingungen, wird nicht beleidigt, akzeptiert Fehler, erwartet nichts, frisst den Kühlschrank nicht leer, trinkt den Wein nicht aus, urteilt nicht.
Sie verhaltet sich so, dass die Kundschaft ihre Freundschaft wirklich perfekt genießen kann. Sie ist der Besuch, die Freundin, eine Bekannte, die Kollegin, ehemalige Klassenkameradin, die Cousine… Dies liegt schon an den Kunden*innen, welche Rolle sie ihr zuschreiben möchten.
Und wenn man mit solch einer Freundschaft nicht zufrieden ist, kann man den Vertrag jederzeit kündigen. Punkt. Keine Reue oder blöde Szenen. Die Freundschaft ist vorbei und das war’s dann. Und wenn man die Kündigung zurücknehmen möchte, ist es auch völlig okay. Tsabika wird nicht böse. Immerhin ist es ein profitables Geschäft.
Durch treffende und brillant pointierte Passagen, mit denen Kovalyk die Geschichten ihrer Helden*innen erzählt, stellt sich die Autorin als exzellente Geschichtenerzählerin den Lesern vor. Schon durch ihre Auswahl, sogar die Wahl ihrer typischen Charaktereigenschaften und Macken, ihrer Sprachweise, präsentiert sie sich als sensible Beobachterin, die verschiedene, doch dabei immer mögliche Situationen schafft.
Mit ihrer Prosa deutet Kovalyk direkt und indirekt sogar die unsichtbare Arbeit der Frauen an. Eine Vielfältigkeit von Tätigkeiten, die Frauen tagtäglich in bestimmten Lebensetappen ausüben, doch nie einen Lohn dafür bekommen, selbst wenn sie sich auseinanderreißen.
Zu solchen Betätigungen kann man z. B. auch das Kindergroßziehen, miteinschließen, das Wäschewaschen und das Bügeln, das Kochen, auch das Fensterwaschen (insbesondere des Taubenkots auf den Glasscheiben), das Abwaschen des Erbrochenen oder das Pflücken von wildem Unkraut im Garten. Das alles sind Tätigkeiten, bei denen man ins Schwitzen kommt, doch einen Lohn trotzdem nie verdienen wird.
Tsabika in dem Roman von Uršuľa Kovalyk ist erfolgreich. Kornel, Muriel und Pipi sind ihre Klienten und das, obwohl sie wissen, dass man sich die Freundschaft nicht kaufen kann.
Uršuľa Kovalyk ist eine in Košice der Slowakei geborene feministische Schriftstellerin. Nachdem sie in der legendären Buchhandlung Artforum und danach ebenfalls als Beraterin in einem Krisenzentrum für Opfer von Gewalt an Frauen tätig war, studierte sie Sozialarbeit an der Universität von Trnava.
2004 zog sie nach Bratislava, wo sie das Theater ohne Zuhause gegründet hat, wo Obdachlose, Menschen mit Behinderung und/oder einer psychischen Diagnose auftreten und in dem auch Uršuľa bis heute mitwirkt.
Als Prosa-Autorin hat sie mehrerer Werke verfasst: Das reine Tier (2018), Die Schönheitsreiterin (2017), Die Frau aus dem Secondhandladen (2008), Travestie-Show (2005), und Die untreuen Frauen legen keine Eier (2004). Ihre Einzelbänder wurden bislang ins Englische, Tschechische, Ungarische, Hindi, Slowenische, Französische und Arabische übersetzt.
Für das Prosawerk Die Schönheitsreiterin, wurde Kovalyk mit dem Biblioteka Preis ausgezeichnet. Überdies ist Kovalyk Preisträgerin des Inzine-Preises des Kurzgeschichtenwettbewerbs Poviedka 2001, und Gewinnerin des David TK Wong Preises im 2002.
Kovalyk hat auch mehrerer Theaterstücke und Radiospiele geschrieben. Sie lebt und ist künstlerisch tätig in Bratislava.
Martina Straková